Warum wird man heutzutage eigentlich Hebamme?
- Lara Geiger

- 1. Okt.
- 4 Min. Lesezeit
Oder auch: Das bin ich - Lara. Und das ist meine Geschichte.
Um zu verstehen, warum ich Hebamme geworden bin, gehört wohl meine ganze bisherige Geschichte dazu. Denn so wie bei uns allen ist es nicht allein der Charakter, sondern auch die Prägungen und Erfahrungen – und was wir daraus machen –, das uns formt. Also beginnen wir von vorne:
Meine Reise auf der Welt beginnt natürlich im Bauch meiner Mama, heranwachsend als das zweite von drei Kindern, das meine Eltern erwarten. Es ist Ende März, als ich mich wenig im Bauch bewege und meine Mutter auf ihr Gefühlt hört, dass etwas nicht stimmt. Voller Sorge und Stärke fährt sie alleine nach Ravensburg in die Klinik. Hier wird – durch die Vorgeschichte meines Bruders – nicht lange gezögert, und ich werde ohne jegliche Vorboten per Kaiserschnitt plötzlich in unsere Welt geholt – gesund und munter.
Aufgewachsen bin ich auf dem Land – jeden Tag draußen mit den anderen Kindern aus dem Dorf, um immer wieder etwas anderes auszuhecken. Meine Eltern gaben uns viel mit – vor allem aber: an uns zu glauben und dass wir alles machen und werden können, wenn wir uns dafür einsetzen. Ach ja, und einen sehr ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Ich lernte sehr früh, dass wir alle diese eine, gemeinsame Welt haben und es wohl eher Zufall und Glück ist, wo wir geboren werden. Mit jungen Jahren engagierte ich mich bereits in der Kinder- und Jugendarbeit und wuchs damit auf, mich für das Allgemeinwohl zu interessieren. Ich liebte es, die Welt mit Kinderaugen zu sehen und in meine Träumereien abzutauchen. Auch heute noch ist mir das nicht abhandengekommen, und Kinder sehe ich als unseren wertvollsten Schatz in der Welt - mit ihnen fühle ich mich oft am wohlsten. Kein Wunder, dass Astrid Lindgren mit mein größtes Vorbild ist.
Ich ging nicht gerne zur Schule, denn es war schnell klar, dass ich mich in strikten Systemen unwohl fühle – mir fehlte, kurz gesagt, dort immer die Freiheit, ich selbst zu sein. In meiner Freizeit aber kostete ich das voll aus und probierte, was mir in den Sinn kam. Ein temperamentvolles, gefühlstarkes Kind, das nicht zu bremsen war – so interessiert an der Welt, den Möglichkeiten und den Menschen. Fürsorglich und empathisch.
Ich habe unterschiedliche Fähigkeiten mitbekommen und hatte so auch einige Ideen, was ich werden könnte. Von der Architektin, Schauspielerin über die Meeresbiologin oder doch lieber Psychologin. Der Hebammenberuf war weit weg – die längste Zeit meines Lebens dachte ich: Warum braucht man überhaupt eine Hebamme? Es gibt doch Frauenärztinnen! Und ist der Kaiserschnitt nicht die normale Geburt? Ich hatte keine Berührungspunkte mit diesem Beruf.
Der Übergang vom Kind zur Frau fiel mir unglaublich schwer, und ich lehnte ihn lange ab. Die körperlichen Veränderungen machten mir Angst, ich wusste nicht, was mit mir passiert und was all das zu bedeuten hat – eine gute Aufklärung und Bestärkung in diesen Themen ist wie auch heutzutage eher rar. Das Teenie-Alter – wie so oft geprägt von dem Wunsch, gesehen zu werden, dazuzugehören und im Endeffekt sich anzupassen. Eine Zeit, in der ich mich wohl etwas verlor (um mich dann erst recht wiederzufinden).
Ich war frisch 18 und mit der Schule fertig, und alle Ideen und all der Mut waren wie weggefegt - "ich war weit entfernt von mir". Ich habe mich gefühlt, als ob ich in einer Welt ausgesetzt wurde, die ich nicht kenne (die Erwachsenen-Welt) und fühlte mich verloren. Aber war ich frisch verliebt und dieser Mann war das, welcher mir in der schwierigen Zeit Zuversicht und Halt gab – eine Jugendliebe, welche bis heute mein Weggefährte und meine bessere Hälfte ist.
Da mir die meisten Menschen in meinem Umfeld sagten: „Du bist die geborene Lehrerin“, probierte ich einfach das. Mit den Fächern Deutsch – aus meiner Liebe zum Schreiben – und Philosophie – aus meiner Eigenschaft, nicht zu verurteilen und alles von den verschiedensten Blickwinkeln zu betrachten. Überraschung: Es taugte mir nicht. Mir wurde schnell klar, dass ich da wieder in ein System komme, in das ich nicht möchte. Den Traum, Kinder zu unterrichten und auf ihrem Weg zu begleiten, gab ich damit auf – was mir bis heute noch manchmal schwerfällt. Wieder eine kleine Krise mit der Frage kam auf: Was will ich täglich für den wahrscheinlich Rest meines Lebens tun? Und allein das kränkte mich schon – immer dasselbe zu tun und das jetzt entscheiden zu müssen.
Und dann sagte eine Bekannte (bis heute weiß ich nicht mehr, wer es war): „Wie wär’s mit Hebamme? Das würde voll zu dir passen!“ Und so wie ich bin und die Dinge vor allem durch einfach Tun und Probieren rausfinde, habe ich mich für ein Praktikum im Kreißsaal beworben – weil, warum nicht? Zu dem Zeitpunkt dachte ich: Babys mag ich ja sehr, und ich habe schon immer gerne babygesittet – es haut mich nicht um, aber für den Anfang vielleicht? Es ist ja eine Ausbildung und wird bestimmt nicht so schwer sein. Dieses falsche Denken tut mir bis heute weh, war aber ehrlich so – wie bei vielen, die aufs Gymnasium gingen und meinten, dass man studieren MUSS. Jedenfalls war ich dann in diesem Kreißsaal, und aus heutiger Sicht weiß ich, dass das keine schöne Geburtshilfe war, aber damals war das für mich alles etwas komplett Neues. Ich wurde einfach ins kalte Wasser geschubst und sah am ersten Tag meine erste Geburt. Eine 20-Jährige, die eine unerwartete Schwangerschaft erlebte und genauso wenig wie ich wusste, was da bei der Geburt mit ihr passiert. Wir waren sofort wie Verbündete, und ich sag mal so viel: Diese Geburt hat mein Leben verändert. Meine ganze Sicht und mein Denken.
Ab diesem Zeitpunkt war mir klar: Ich muss Hebamme werden. Ab jetzt gab es nur diesen Weg.
Und dass dieser Weg der anstrengendste sein sollte, den ich mir in den Kopf setzten konnte, wusste ich natürlich damals nicht. Zum Glück, sonst wäre ich heute wahrscheinlich doch keine Hebamme geworden. Aber mehr dazu bald.

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